Wenn wir uns auf den inneren Weg der Selbsterfahrung und Heilung begeben, fokussieren wir häufig die Anteile in uns, die durch Prozess, Schmerz und Kummer geprägt sind. Das kann unser Leben erschweren oder uns gar das Gefühl geben, dass alles noch belastender und schmerzhafter ist als vor Beginn unserer inneren Reise.
Warum ist das so? Und wie können wir auch in solchen Momenten wieder zu unserer inneren Kraft zurückfinden?
Nur Teile leiden – nicht das Ganze

Neuer Fokus, neues Leid?

Bevor wir uns tiefer mit uns selbst auseinandersetzen, liegen schmerzhafte Themen zwar unter der Oberfläche, sind dort aber häufig verdeckt und damit nicht wirklich in unserem Blickfeld. Wenden wir uns diesen Themen zu, so geben wir ihnen (vielleicht zum ersten Mal) Raum.

Diese bewusste Innenschau öffnet zum einen die Möglichkeit, in heilsame Prozesse einzutauchen, Themen aufzuarbeiten, einen neuen Umgang damit zu finden und diesen nach und nach zu integrieren.

Zum anderen geht diese innere Arbeit häufig einher mit der Tendenz, uns mehr und mehr nur auf diese Aspekte zu konzentrieren – uns selbst also ständig durch die Linse von stetiger Heilung zu sehen.

Von hier aus passiert es schnell, dass wir diese innere Linse auf die äußere Welt übertragen und so vor allem die schwierigen Dinge in anderen Menschen und der Umwelt fokussieren.

Wir empfinden Schwere – im Innen wie im Außen. 

Nur Teile leiden – nicht das Ganze

Anerkennen, was ist

„Nur Teile leiden – nicht das Ganze.“ Diese Worte von Ken Wilber aus seinem Buch „Keine Grenzen” resonieren stark.

Wenn wir anerkennen, dass es nur Teile des Ganzen sind, die schmerzen, können wir aus der begrenzten Perspektive unseres Ichs hinaustreten. Wir können uns mit Ebenen in uns verbinden, die ganz frei und heil sind.

Wenn wir den inneren Fokus erweitern, finden wir Halt in den Ressourcen der Güte, der Liebe, des Staunens, des Lachens, der Schönheit, der Verbindung, des tiefen Mitgefühls, des Lebens. Die Ebene in uns, die nie Schmerz erfahren hat, wird zur Wegbegleiterin durch den Schmerz, den wir durchleben. Die Teile der Welt, die Liebe und Verbindung reflektieren, bieten Halt für jene Aspekte, die tief in Schmerz versunken sind.

Nur Teile leiden – nicht das Ganze

Der Sweet Spot zwischen Spiritual Bypassing und endloser Selbstheilung

Was ist Spiritual Bypassing?

Spirituelles Bypassing bedeutet: Spiritualität dafür zu nutzen, um die Bedeutung der inneren Arbeit mit unseren Mustern, Überlebensstrategien und unserer Menschlichkeit herunterzuspielen, bevor wir uns wirklich damit auseinandergesetzt haben.

Das heißt, menschliche Bedürfnisse, Gefühle oder Beziehungsschwierigkeiten werden nicht integriert, sondern als belastend, abgewertet, als unnötig verdrängt oder abgelehnt.

Ja, im tiefsten Kern sind wir ganz heil, und gleichzeitig tragen wir alle unsere inneren Heilungsprozesse, denen wir uns zuwenden müssen.

Anzuerkennen, dass wir Anteile in uns haben, die Balsam benötigen oder Balsam sein können, hilft uns auch, emotional in Balance zu bleiben. D.h. sich einerseits nicht in schwierigen Themen und endloser Selbstheilung zu verlieren, andererseits nicht dem Spiritual Bypassing zu verfallen und damit alle schwierigen Emotionen wegzudrücken, zu vermeiden oder zu ignorieren.

Wir dürfen als die neue Generation der inneren Arbeit lernen, die unterschiedlichen Ebenen unseres Selbst in uns zu vereinen, ohne die anderen dabei zu vernachlässigen.

Nur wenn wir Spiritualität und die Seins-Ebene in Verbindung mit emotionaler Integration leben, ist sie ganzheitlich.

Nur wenn wir die emotionale Prozessarbeit auch gleichzeitig im Kontext des größeren Bewusstseins sehen, ist sie ganzheitlich.

„There is a crack in everything – that’s how the light gets in.“

– Leonard Cohen