Oftmals können Grenzen – egal ob diese von anderen oder uns selbst gesetzt wurden – sich nach Isolation und Abtrennung anfühlen. Zustände, mit denen wir erstmal schwierige Emotionen verbinden. Kennst du das auch?
Gleichzeitig kann es sich nach einem unglaublichen Befreiungsschlag anfühlen, (erstmals) eine Grenze zu setzen – bis uns vielleicht die Frage einholt, ob es “in Ordnung” oder doch “zu egoistisch” war, dies zu tun.
Du siehst, Grenzen bewegen sich in einem Spannungsfeld zwischen Selbstermächtigung und Abtrennung von anderen.
Wie können wir damit umgehen und eine Balance finden?
Grenzen

Bindung vs. Authentizität

Es ist natürlich nicht möglich, dass unsere eigenen Bedürfnisse und die Bedürfnisse anderer immer im Alignment sind. Und das ist auch ok!
Wir alle leben in Nuancen, haben jeden Tag verschiedene Stimmungen und sehnen uns entsprechend nach unterschiedlichen Dingen. Die Vielfalt an Erfahrungen in dir und innerhalb von Beziehungen macht unser Leben so viel reicher.
Warum aber fällt es uns so schwer, das anzunehmen und unsere Grenzen offen und liebevoll zu kommunizieren?
Während wir aufwachsen, lernen wir häufig, dass wir uns an unser Umfeld anpassen müssen. Wenn wir also in Tränen ausbrechen, weil wir unser Kuscheltier verloren haben, oder aber wie wild durch die Wohnung rennen, weil wir eben voller Energie sind, zeigen wir uns so, wie wir wirklich sind.
Wenn Bezugspersonen wie Eltern oder Großeltern uns dann aber signalisieren, dass unsere Reaktion übertrieben oder unser Verhalten nicht angemessen sei, kann schnell ein Gefühl der Scham entstehen.
Die Folge? Wir müssen uns zwischen Authentizität oder Bindung entscheiden.
Das heißt: Widerspreche ich meinen Bezugspersonen und bleibe mir selbst treu, gehe aber die Gefahr ein, dadurch vielleicht die Verbindung zu verlieren? Oder stecke ich meine Authentizität zurück und zeige mich nicht mehr so, wie ich bin, wiege mich aber in der Sicherheit, die Verbindung zu meinem Umfeld nicht zu kappen?
Grenzen
Als Kinder entscheiden wir uns immer für die Bindung, da sie überlebensnotwendig ist. Wir wissen intuitiv, sobald wir als Kind die Beziehung zu unseren Bezugspersonen verlieren, sind wir auf uns allein gestellt und damit schutzlos.
Dadurch vernachlässigen wir aber auch unsere eigenen Grenzen und unsere Authentizität.
Dieses erlernte Muster dient uns in der Kindheit als Überlebensstrategie, kann uns im Erwachsenenalter jedoch davon abhalten, tiefgehende Beziehungen einzugehen. Zwei Beispiele:

1. People Pleasing

Ein Resultat dieser Strategie ist zum Beispiel das sogenannte “People Pleasing”:
People Pleaser sind Menschen, die ständig anderen alles recht machen möchten, niemanden kränken, enttäuschen oder belasten wollen. Sie treffen ihre Entscheidungen oft danach, ob sie anderen gefallen und stellen somit ihre eigenen Bedürfnisse unter die Bedürfnisse ihrer Mitmenschen.
Dadurch sind People Pleaser als Menschen schwer zu greifen, da sie mit ihrem Verhalten oft “all in” oder “all out” gehen, sich also völlig verfließen oder vollständig zurückziehen und so in gelebten Beziehungen die gesunden Nuancen verlieren.
Diese nicht vorhandenen Grenzen erschweren einerseits das “Andocken”, wir schwimmen im Kontakt und können nicht so richtig einschätzen, welcher Charakter hinter dem People Pleasing steckt, wer die Person wirklich ist.
Andererseits verlieren sich People Pleaser oftmals in dem Gefühl der Aufopferung für andere, übertreten oder ignorieren dabei ständig die eigenen Grenzen und laufen Gefahr, dadurch auszubrennen.

2. Rigidität

Das Gegenstück dazu ist ein Phänomen, dass momentan viel in unserer Szene aufkommt, wenn man Grenzen neu erkundet: Rigidität.
Rigide zu sein bedeutet, an Gewohnheiten, Einstellungen oder Handlungen hartnäckig festzuhalten, sich also zu verhärten und dadurch abzugrenzen. Doch: Das sind keine gesunden Grenzen!
Grenzen bedeuten nicht, steif und verschlossen zu sein oder immer selbstbezogen auf seinem eigenen Bedürfniss zu verharren. Das sind viel mehr Mauern als Grenzen!
Grenzen

Grenzen schaffen Nähe, keine Grenzen oder Mauern schaffen Distanz

Kommunizierte Grenzen sind klar, offen und zugänglich. Diese Klarheit fehlt, wenn wir unsere Grenzen nicht ansprechen. Gleichzeitig sind sie aber nicht stur oder verbissen.
Grenzen kommunizieren schlichtweg Bedürfnisse und laden gemeinsame Wege ein.
Sie sind nicht dazu da, um anderen zu gefallen oder um dich aus der Beziehung mit anderen zu trennen, sondern um euch besser kennenzulernen und dadurch näher zusammenzubringen. Spürst du den Unterschied?

Mit wem lebst du in gesunden Grenzen, bei wem hast du Mauern aufgebaut und wem möchtest du so sehr gefallen, dass du deine Grenzen übergehst?

Es ist kein Widerspruch, unterschiedliche Verhaltensmuster mit Grenzen in sich zu tragen, da diese oft – je nach Beziehung oder Kontext – variieren. Die Frage ist nur: Wie gehst du damit um und wie kannst du lernen, deine Grenzen zu spüren und auszusprechen?
Grenzen

Verbundenheit durch Klarheit

Ein wichtiger Schritt ist, zu erkennen, dass wir uns nicht mehr zwischen Bindung und Authentizität entscheiden müssen. Im Gegenteil: Erst wenn wir uns wirklich so zeigen, wie wir sind – mit all unseren Emotionen und unserer Verletzlichkeit – lassen wir andere an uns heran. Unser authentisches Sein schafft den Nährboden für Nähe und Verbundenheit.
Wenn wir unsere Grenzen aber nicht kommunizieren, übergehen wir uns jedes Mal selbst und vergessen dabei, dass dieser Schmerz tiefer geht als festzustellen, dass sich unsere Grenzen von denen anderer unterscheiden.
Doch: Das wieder in Kontakt kommen mit dir selbst, das Hineinspüren in dein Erleben und die Kommunikation dessen sind der Schlüssel für deine Authentizität und die Klarheit im Innen und Außen.
Eine Klarheit, die es ermöglicht, sich auf Augenhöhe zu begegnen. Eine Klarheit, die deinem Gegenüber und dir erlaubt, eine Begegnung zu haben, in der ihr Verantwortung für das jeweils eigene Fühlen und Handeln übernehmt.
Eine Klarheit, die es ermöglicht, aufeinander zuzugehen, Kompromisse zu finden und immer wieder für das Wir zu gehen!